Rangieren mit dem Roboter
Autonome Fahrzeuge haben viel Potenzial in der Logistik, beispielsweise um vollautomatisch das Rangieren mit Wechselbrücken zu übernehmen. Doch wie lässt sich das auf einem betriebsamen Speditionshof sicher und effizient umsetzen? Am DACHSER Standort in Langenau bei Ulm wurde daran im Echtbetrieb geforscht.
Auf dem Betriebshof der DACHSER Niederlassung im baden-württembergischen Langenau wird eine Zukunftsvision real: Im Forschungsprojekt SAFE20, gefördert vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, wird der Regelbetrieb von vollautomatischen Fahrzeugen auf Betriebshöfen getestet. Und die beiden hier eingesetzten autonom fahrenden Hoffahrzeuge sind flott unterwegs. Mit bis zu 20 Stundenkilometern reihen sie sich nahtlos in den Mischbetrieb mit von Menschen gelenkten Fahrzeugen sowie Fußgängern ein. Die nur von einem im Notfall eingreifbereiten Sicherheitsfahrer begleiteten Fahrzeuge des Hoflogistik-Spezialisten Kamag müssen auf ihrem Weg viele Unwägbarkeiten meistern, Hindernisse umfahren, Richtungsänderungen vornehmen, auf Fußgänger und Querverkehre achten. Eine Herausforderung an die Sensorik und die damit verbundene IT. Lidar-Scanner erfassen dazu mithilfe von Laserlicht die Umgebung und erstellen ein digitales Abbild. Eine GPS-Antenne auf dem Dach sorgt unterwegs für eine genaue Positionsbestimmung des Fahrzeugs. Die zweite Antenne empfängt Daten der Infrastruktursensoren. So werden die ausgewerteten Informationen aus Radar und Kameradaten übertragen. „Das Rangieren von Wechselbrücken und Trailern von Abstellplätzen zur Be- oder Entladung an der Umschlaghalle bietet beträchtliches Potenzial für die Automatisierung – vor allem vor dem Hintergrund des Mangels an Fahrerinnen und Fahrern“, erläutert Stefan Hohm, Chief Development Officer von DACHSER.
Um den komplexen Vorgang von rundum sicheren, automatisierten Lkw-Verkehren in einer Logistikanlage zu ermöglichen, wurden für das Forschungsprojekt auch außen an den Hallen Kameras und Sensoren installiert. Erkennt eine davon einen Menschen, der beispielsweise den Zebrastreifen überquert, erhält das autonom fahrende Gefährt diese Information bereits im Voraus. Es kann, noch bevor es um die Ecke biegt und der Mensch in Sichtweite kommt, die Geschwindigkeit reduzieren und zur Not auch sofort stoppen.
In den Verkehrsfluss integriert
Dreieinhalb Jahre lang wurde nun im Forschungsprojekt untersucht, wie das im praktischen Logistikbetrieb funktioniert. Dabei wurden wichtige Grundlagen geschaffen, wie zum Beispiel ein umfangreiches Sicherheitskonzept, das im Dauerbetrieb unter realen Bedingungen validiert wurde. Die Projektergebnisse sollen nun in die Erarbeitung rechtssicherer Rahmenbedingungen für den automatisierten Güterverkehr auf Umschlagplätzen einfließen. Neben DACHSER beteiligen sich sieben Partner an SAFE20. Darunter die Fraunhofer Institute für Materialfluss und Logistik IML und für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI. ZF Commercial Vehicle Systems aus Hannover agiert als Projektkoordinator und war federführend für den Umbau der Sattelzugmaschine Kamag PT verantwortlich. Von Kamag Transporttechnik stammen die beiden Spezialfahrzeuge, die von den verschiedenen Partnern mit entsprechender Sensorik sowie Bordelektronik zur Datenverarbeitung ausgestattet wurden. Die darauf spezialisierte SICK AG lieferte die Sensorik und hat sich federführend mit der Erstellung des Sicherheitskonzeptes beschäftigt. Götting lieferte als Automatisierungsprofi wichtige Komponenten zur Fahrzeuglokalisierung.
Bislang wäre es unter Beachtung der geltenden Sicherheitsbestimmungen lediglich möglich, autonom fahrenden Fahrzeuge mit 6 bis 8 km/h zu betreiben. Die bei DACHSER in Langenau bei Ulm getesteten Fahrzeuge sind hingegen dreimal so schnell, mit bis zu 20 Stundenkilometern unterwegs.
André Bilz und Christoph Ehrhardt, Department Head Trends and Technology Research bei Corporate Research & Development ziehen eine positive Bilanz des großangelegten Tests unter Realbedingungen: „Wir haben noch keine serienreife Lösung, aber wertvolle Erfahrungen und Daten, mit denen wir den weiteren Weg gestalten können“, so Ehrhardt. Es ließe sich schon jetzt zeigen, dass ein sicherer Mischbetrieb möglich ist. „Wir versprechen uns neben der Erhöhung der Prozesssicherheit auch eine spürbare Reduzierung der Anfahrschäden“, sagt Bilz. Die Fahrzeuge können nicht nur Wechselbrücken rangieren, sondern auch Sattelauflieger. In beiden Fällen geht es im Fahrbetrieb um Zentimeter. Die Sensoren sind stets hochkonzentriert, nicht abgelenkt und funktionieren auch in schwierigen Lichtverhältnissen, etwa in der Dämmerung oder bei Sonnenaufgang. „Schwierigkeiten hatten wir teilweise bei extrem schlechten Witterungsbedingungen wie starkem Schneefall, aber diese Themen sind lösbar.“
Wertvolle Ergänzung
In Zeiten akuten Fahrermangels können die autonom fahrenden Fahrzeuge eine nützliche Unterstützung sein. Allerdings, ganz ohne Menschen geht es beim Rangieren am Hof noch nicht. Themen wie Sicherung der Trailer mit Unterlegkeilen, oder das Öffnen und Schließen der Türen müssen weiterhin manuell erfolgen. Hier wurden Prozesse definiert. Teilweise muss auch das Verladepersonal in die Verantwortung genommen werden. Für das automatische Koppeln sowie die Verbindung von Druckluft für das Bremssystem und Strom für die Beleuchtung wurde ein automatisches Kupplungssystem verbaut. Allerdings müsste später jeder Trailer mit einem solchen System ausgestattet sein, was sich negativ auf die Wirtschaftlichkeit auswirkt. Das Bewegen von Wechselbrücken ist dabei deutlich einfacher.
Das Identifizieren von Verbesserungspotenzial für zukünftige Marktlösungen ist ein wichtiges Ergebnis von SAFE20. Klar belegt ist jedoch durch das richtungsweisende Forschungsprojekt: Ein wirtschaftlicher und gleichzeitig sicherer Betrieb mit autonom fahrenden Fahrzeugen im Logistikablauf auf einem geschlossenen Gelände rückt in greifbare Nähe.